Das Internet frisst massenhaft Energie und belastet damit die Umwelt. Ein I T-Unternehmen aus Nordfriesland will das ändern – und hat das erste CO2-positive Rechenzentrum Deutschlands gebaut. Entsteht in Schleswig Holstein damit das Internet der Zukunft?
Mal eben schnell eine WhatsApp-Nachricht schreiben, kurz den Facebook-Feed checken und bei Netflix wartet abends schon das nächste Serienhighlight – Alltag für die meisten von uns. Kaum jemand denkt dabei an die Ressourcen, die jeder Klick, jeder Stream, jede E-Mail verbraucht.
Dreckschleuder Internet
Doch das Internet ist ein echter Energiefresser. Wäre es ein Land, würde es beim Stromverbrauch weltweit den sechsten Platz belegen. Bei der Umweltbelastung sieht es nicht besser aus: Global gesehen lag der Anteil der CO2-Emissionen durch Internetnutzung im Jahr 2018 bei 3,7 Prozent , allein das Streamen von Videos verursachte so viel Treibhausgas wie ganz Spanien. Damit hat das Internet den globalen Luftverkehr als CO2-Verursacher mittlerweile hinter sich gelassen. Und der Datenhunger wird immer größer – schon in zwei Jahren könnten über zwei Drittel der Menschheit online sein, wie der Netzwerkausrüster Cisco schätzt .
Für den steigenden Energiebedarf sind neben den Endgeräten vor allem der Betrieb und die Kühlung riesiger Serverfarmen verantwortlich, auf denen all die Daten schlummern, auf die wir mit jedem Klick zugreifen. Allein in der Europäischen Union betrug im Jahr 2018 der Anteil von Cloud-Diensten und Rechenzentren am gesamten Stromverbrauch 2,7 Prozent, wie aus einer Studie hervorgeht .
Rechenzentren sind die Grundvoraussetzung des Internets, ohne sie würde kein Cloud-Dienst, kein Smartphone auf der Welt funktionieren. Damit bei den schnell wachsenden Datenmengen nicht gleichzeitig der Energieverbrauch explodiert, müssen Rechenzentren effizienter und nachhaltiger werden, fordert unter anderem die EU-Kommission. Nur, wie soll das gehen?
Grüne Rechenzentren an der Nordsee
Einer, der genau daran arbeitet, ist Wilfried Ritter. Hoch im Norden, gute 20 Autominuten von der Nordseeküste entfernt, hat er gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern auf dem Greentec-Campus in Enge-Sande Deutschlands erstes Rechenzentrum gebaut, das mehr CO2 bindet, als es emittiert. "Unser Grundgedanke ist, Rechenzentren zur Energie zu bringen – zu grüner Energie – und nicht umgekehrt", erklärt der 29-Jährige. Und grüne Energie gibt es im windigen Schleswig-Holstein zur Genüge. Windcloud versorgt seine Anlage mit 100 Prozent physikalischem Ökostrom, wovon der Großteil aus Windenergie und der Rest aus Solar- und Biogasanlagen stammen.
Wilfrid Ritter inmitten der Plastikschläuche, in denen die Mikroalgen gezüchtet werden. Der 29-Jährige mit Elektroniker-Ausbildung beschäftigte sich mit dem Schürfen von Kryptowährung, bevor er die Idee für Windcloud hatte. (Quelle: Windcloud )
Doch was Windcloud von herkömmlichen Rechenzentren unterscheidet, ist nicht allein die Versorgung mit grünem Strom. Das Unternehmen hat einen Weg gefunden, die bis zu 32 Grad warme Luft, die rund um die Uhr beim Betrieb der Server entsteht, effektiv zu nutzen. "Im Endeffekt ist ein Rechenzentrum eine riesengroße Heizung", erklärt Ritter. Ein Großteil der rund 50.000 Rechenzentren in Deutschland lässt diese Energie einfach verpuffen, weil es zum Beispiel an effektiven Fernwärmenetzen fehlt. Windcloud aber nutzt diese Energie mit einer auf den ersten Blick eher ungewöhnlichen Idee.
Server und Algen – Wie passt das zusammen?
Auf dem Dach des im August 2020 eingeweihten Rechenzentrums haben die Gründer ein Gewächshaus installiert, in das die warme Abluft geleitet wird, die wiederum für den Anbau von Mikroalgen genutzt wird. Der Algenanbau erfüllt für das Rechenzentrum eine doppelte Schlüsselfunktion: Einerseits verdient Windcloud mit dem Weiterverkauf der Algen an die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie Geld, was mit dafür sorgt, dass man die Dienste günstiger als die Konkurrenz anbieten kann. "Und außerdem haben die Algen den netten Effekt, dass sie CO2 binden", erklärt Ritter. Dadurch arbeite die ohnehin emissionsarme Anlage CO2-neutral, im besten Fall aber speichert sie sogar das Treibhausgas.
Ein bisher einzigartiges Konzept, das aufzugehen scheint. "Eigentlich haben wir mehr damit gerechnet, dass man uns zerpflückt", wundert sich Ritter. Doch bisher sei die Resonanz durchweg positiv. Viele Kunden hätten ihre Server schon im grünen Rechenzentrum untergebracht. Geht es nach Ritter, ist das aber erst der Anfang. Zwar sammele man mit der jetzigen Pilotanlage noch primär Daten und Erfahrungen, doch an Plänen für die Zukunft mangele es nicht. Und auch die nötige Infrastruktur existiert bereits.
Die Algen werden in Wasserbecken mithilfe der Abwärme aus dem Rechenzentrum gezüchtet und anschließend von einem Partner veredelt. Algen haben einen hohen Eiweiß-Gehalt und enthalten Omega-3-Fettsäuren. (Quelle: Windcloud )
Auf einem ehemaligen Militärgelände, nur wenige Kilometer entfernt, will das Unternehmen in überirdischen Hangars die nächste Rechenzentrums-Generation bauen. In zwei dieser Bunker könnten Rechenzentren entstehen, erklärt Ritter, die dann mit einem dazwischenstehenden Gewächshaus verbunden werden. Hinzu kommt, dass direkt neben dem Gelände ein Windpark steht, von dem grüner Strom direkt vom Erzeuger bezogen werden kann. Damit könne man einen unschlagbaren Strompreis anbieten. Steht grünen Rechenzentren im großen Maßstab also nichts mehr im Wege?
Die Standortfrage
Nicht ganz. Noch seien einige Hürden zu überwinden. Einerseits müsse man die Endverbraucher weiter dafür sensibilisieren, dass sich Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit in der IT nicht ausschließen. Andererseits gelte es, Schleswig-Holstein als Standort für Rechenzentren zu etablieren. "Es ist wie beim Wein. Den kannst du wahrscheinlich in ganz Deutschland anbauen, auch in Hamburg. Aber dann schmeckt der halt sauer. Und im Weinanbaugebiet schmeckt er eben besser", sagt Ritter. Mit Rechenzentren sei das ähnlich. "Schleswig-Holstein ist deutschlandweit das einzige und beste nachhaltige Anbaugebiet."
Tatsächlich ist Schleswig-Holstein laut einer Studie bundesweiter Vorreiter im Bereich der erneuerbaren Energien, dicht gefolgt von Baden-Württemberg. Im Jahr 2019 lag der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion bei fast zwei Dritteln. Zum Vergleich: Im gesamten Bundesgebiet lag er bei gut 42 Prozent.
Stolperstein Politik
Von den extremen Mengen der erneuerbaren Energien würden laut Ritter nur gut 40 bis 50 Prozent wirklich genutzt. Der Rest kann oft nicht ins Netz eingespeist werden, weil es zum Beispiel an einer Nord-Südtrasse fehlt. "Wenn man das betrachtet, liegt es völlig nahe, dass wenn nun nachhaltige Rechenzentrumskonzepte entstehen, sie hier an diesem Standort entstehen sollten."
Dafür müsse aber auch die Landespolitik mit breiter Brust vorangehen und versuchen, viele solcher Projekte nach Norddeutschland zu holen, etwa über die Wirtschaftsförderung. "Wir haben in den vergangenen Jahren aber beobachtet, dass man die Politiker erst mit dem nötigen Selbstvertrauen ausstatten muss, damit sie selbst anfangen, an Schleswig-Holstein als I T-Standort zu glauben", sagt Ritter. Noch immer sei Digitalisierung für viele ein abstraktes Thema. Bis allerdings grüne Rechenzentren "made in Schleswig-Holstein" industrielle Ausmaße erreichen und damit merklich etwas zum Klimaschutz beitragen können, müsse auch technisch nachgerüstet werden, etwa in der Speicherung erneuerbarer Energien, erklärt der Gründer.
"Ökologische I T-Dienstleistungen wie beim Gemüse einkaufen"
Windcloud ist nicht das einzige Projekt, das Rechenzentren zukunftsfest machen will. Überall auf der Welt wird an neuen Lösungen gearbeitet, auch Branchengrößen haben das Thema längst erkannt. So versenkte etwa der I T-Riese Microsoft im Jahr 2018 einen mit Servern vollgepackten Rechenzylinder namens "Natick" nahe der schottischen Küste in der Nordsee. Statt energieintensiver Kühlsysteme übernimmt das Meerwasser den Job, die Server zu temperieren.
Nach zwei Jahren in 35 Metern Tiefe fischten Microsoft-Ingenieure die zwölf Meter lange Röhre "Natick" im Sommer 2020 wieder aus der Nordsee. (Quelle: Cover-Images)
Laut Microsoft seien Systeme wie Natick gut dafür geeignet, schnelle und nachhaltige Cloud-Dienste für die globale Küstenbevölkerung bereitzustellen, wenn sie entsprechend platziert werden. Denn je kürzer die Distanz zwischen Endgerät und Server, desto kleiner die Latenz – so nennen ITler die Dauer, die ein Datenpaket braucht, um ein Netzwerk vom Sender zum Empfänger zu durchqueren.
Generell geht in der Branche der Trend hin zu dezentralen, nachhaltigen Rechenzentren. Ein Wandel, den auch Ritter begrüßt: "Wir können nicht mehr stumpf dieselben Rechenzentren bauen, die wir seit Jahrzehnten bauen. Der Betrieb und die Architektur müssen sich an die Nachnutzung anpassen." Auch Regionalität werde in der IT immer mehr zum Thema. So sei die Digitalisierung bisher ortsungebunden, aber wenn Dienste auch um die Ecke konsumiert werden können, dann erzeugten sie wegen der kürzeren Leitungswege auch weniger CO2. "Dann haben wir regionale und ökologische I T-Dienstleistungen wie beim Gemüse einkaufen."
"Wir sind alle Leute, die an etwas Großes glauben"
Ritter und seine Mitstreiter sind, wie er sagt, fest von ihrer Idee und dem Standort überzeugt. Deswegen ließ er die Großstadt Hamburg hinter sich, um in Nordfriesland an grünen Rechenzentren zu tüfteln. In seinem Leben vor Windcloud beschäftigte sich der gelernte Elektroniker, der sich zwischenzeitlich mit einem Dienstleister für Baustrom selbstständig machte, mit dem Schürfen von Kryptowährungen. Über Kontakte rutschte er schließlich in das Projekt hinein und traf als Quereinsteiger auf dem Greentec-Campus auf Gleichgesinnte.
Auf dem Gelände des Greentec-Campus haben sich eine Reihe von Unternehmen angesiedelt, die alle an nachhaltigen Konzepten arbeiten. Neben autonomen Bussen, die bereits ihre Runden drehen, wird etwa an innovativen Solar- und Batteriesystemen geforscht. "Hier gibt es ganz viele tolle Technologien, die im Endeffekt nur zusammengebracht werden müssten", so Ritter.
"Wir sind alles Leute, die an etwas Großes glauben, das der Markt noch nicht sieht", gibt sich Ritter optimistisch – und legt sogar noch einen drauf: Er ist davon überzeugt, dass Schleswig-Holstein eine Art Silicon Valley für nachhaltige Digitalisierung werden kann. Es sei weniger eine Frage des Ob, sondern des Wann, glaubt Ritter – der Stein müsse nur erst einmal ins Rollen kommen. "Der Campus ist natürlich noch sehr, sehr klein im Vergleich zum Silicon Valley, aber der Spirit ist Minimum derselbe."